Messdaten um 10.10 Uhr:
- Abflussmenge: 41 m3 pro Sekunde
- Wasserstand: 501.47 m ü. M.
- Temperatur Wasser: 5.0 Grad Celsius
- Temperatur Luft: Minus 4.5 Grad Celsius
- Hochnebel mit einzelnen diffusen Sonnendurchbrüchen
- Windstill
- Morgenfarbe: Grausilbrig
- Gerüche: feuchtes Nichts, an der Aare leichter Schlammgeruch
- Geräusche: Still, ruhiges Gurgeln der Aare, am späten Nachmittag eingestreuter Balzgesang der Wasseramsel
- Schneehöhe auf dem Titlis: 520 Zentimeter
Trotz der Kälte bin ich mit meinem Fahrrad zur Fähre unterwegs. Bei meiner Ankunft halte ich auf dem Brücklein über den Krebsenbach an. Vor einigen Tagen begann der Bach zuzufrieren. Seither ist der Wasserstand stetig zurückgegangen und der Bach versiegte bis auf einige Pfützen. Zeit, Temperatur und Wasser haben hier nun als Landart-Künstler gewirkt:
- Eisschicht am Aussenrand dünn ausgefranst, gegen innen dicker werdend
- Weisse Linien durchziehen das Eis wie Jahrringe einen Baumstamm
- Grosse Eisplatten sind durch ihr Eigengewicht in sich zusammengefallen
- Ihre Spliter recken sich in alle Richtungen wie Kronen
- Andere Eisplatten schweben wie durch Geisterhand gehalten über dem Bach
- Weitere Eissplitterungen an Hindernissen wie Steine, Äste und Laub
- Restpfützen sind in dunklem, klarem Eis zugefroren
- Darin leuchtet, vom Eis überrascht worden, goldenes Herbstlaub
Um 12.19 Uhr klingelt eine Gruppe Rentnerinnen und Rentner. Ich ziehe Schal, Jacke, Handschuhe und Mütze an, schnalle mir die Brieftasche um und trete hinaus.
„Sorry für die Störung. Sie hätten die Suppe ruhig zu Ende essen können“, sagt ein Mann mit geröteten Wangen, „wir haben Zeit.“
Die Männer lachen.
„Guten Tag. Nichts von Suppe. Bezahlt ihr als Gruppe?“, frage ich.
Ein anderer Mann kommt auf mich zu und hält mir einen Geldschein hin.
„Ha, der Fährmann ist ein Dichter: Suppe, Gruppe! Wir bezahlen als Gruppe. Elf Personen.“
Wieder lachen die Männer.
„Möchten sie eine Mehrfahrtenkarte? Da erhalten sie zwölf Fahrten zum Preis von zehn“, frage ich ihn.
„Wir sind aber nur elf Personen.“
„So bleibt ihnen eine Fahrt übrig. Die können sie ein andermal einlösen.“
„Oder du kannst einmal zusätzlich hin und her fahren“, lacht ein dicker Mann mit Schnurrbart, „dann geht es auf.“
„So ungefähr“, sage ich. Der Mann bezahlt. Ich knipse die Karte bis auf eine Fahrt durch und überreiche sie dem Mann.
„Das sind jetzt aber schöne Löchli. Sternchen. Schaut mal“, stellt er fest, hält die Karte hoch und sagt: „Will jemand nochmals Weihnachten? Sternchen und eine Gratisfahrt“, und die Männer lachen mit ihm.
Ich gehe zwischen den Leuten zur Fähre hinunter. Alle bis auf einer der Männer mit Fotokamera steigen ein und setzen sich. Der Fotograf macht umständlich Gruppenfotos. Zuletzt meint er, ich soll in die Fähre steigen, damit ich mit auf das Bild komme. Ich habe schon die Leine und den Stock in den Händen und bin bereit abzulegen.
„Das geht nicht mehr“, sage ich und hebe die Leine hoch. „Wenn sie auch einsteigen, kann ich losfahren.“ Der Mann schüttelt theatralisch den Kopf:
„Der hat es jetzt aber pressant!“
Auf der Fahrt reden die Männer vom bevorstehenden Essen im Restaurant des Flugplatzes und auch da wird gescherzt und gelacht.
„Der macht das nicht schlecht, der Fährmann, obwohl er es das erste Mal macht“, sagt der Fotograf, lacht und schiesst ein paar Fotos.
„Der ist gut: das erste Mal“, lacht der Mann mit den geröteten Wangen und die anderen lachen mit. Als das Lachen abflaut, sagt eine mollige Frau in die Runde:
„Sagt mal – hält ihr die Stille eigentlich nicht aus, dass ihr dauernd Sprüche klopfen müsst?“
Betretenes Schweigen und auf dem Rest der Fahrt bleibt es still.
Ich lege mit dem Stachel an und binde die Fähre fest. Die Leute steigen aus und es ist wie wenn ich mich von einer anderen Gruppe verabschiede, als jene die eingestiegen ist.