Messdaten um 09.40 Uhr:
- Temperatur Luft: 4 Grad Celsius
- Temperatur Wasser: 11.5 Grad Celsius
- Abflussmenge: 58 m3 pro Sekunde
- Wetter: Dichte Wolkendecke. Im Süden ein blauer Streifen am Himmel. Eine Stunde später ist es strahlend schönes Herbstwetter
Um 11.05 Uhr steigt ein älterer Dauergast in die Fähre. Meistens schweigt er, doch manchmal äussert er sich kritisch zu einem aktuellen Thema aus den Medien.
Heute trägt er keine Sonnenbrille und ich sehe das erste Mal seine klaren, blauen Augen. Ich lege ab und frage ihn:
„Wohnen sie in Wabern?“
„Nein, nein. Ich komme ja manchmal von dieser Seite und manchmal von der anderen. Seit ich ein Generalabonnement bei der Bahn habe, fahre ich entweder nach Münsingen und gehe der Aare entlang nach Bern, oder umgekehrt.“
„Oh, das ist aber weit.“
„Ja, ich mache das fast täglich, seit zehn Jahren, seit meine Frau gestorben ist. Zwischen Thun und Münsingen ist es nicht schön. Hier ist der Weg schön:“
„Wo wohnen sie denn?“
„In Steffisburg.“
Ich erzähle ihm von der anderen Kundin, die Frau mit dem Cocker Spaniel, die auch aus Steffisburg komme und es hier schöner finde. Er ist erstaunt. Nein, er kenne sie nicht.
„Ich habe es ausgerechnet“, erzählt er weiter, „Ich bin in diesen zehn Jahren schon mehr als einmal um die Welt gewandert. 10 Jahre mal etwa 300 Tage mal 14 Kilometer gibt 42’000 Kilometer.“
Er zögert einen Moment und verzieht das Gesicht.
„Das wäre natürlich etwas anderes gewesen, um die Welt“, fährt er fort.
„Theoretisch ist es ja nie zu spät“, sage ich. Der Mann hebt die Augenbrauen, etwas befremdet, etwas belustigt.
„Ich habe bis dreiundsiebzig gearbeitet. Jetzt bin ich weit über achtzig. Was will man da noch um die Welt?“, sagt er und schaut mich an mit seinen blauen Augen.
„C’est un temps fantastique. Complètement inattendu“, sagt die Frau mit ihrem dunkelbraunen Labrador, die am frühen Nachmittag einsteigt.
„Oui, la météo avait annoncée de la pluie. C’est vraiment inaperçu“, bestätige ich. Dann ist es eine Weile still.
Ob inaperçu in diesem Fall überhaupt richtig sei, will ich wissen.
„Nein, eigentlich nicht“, die Frau spricht in Deutsch, mit einem charmanten französischen Akzent weiter.
„Inaperçu braucht man viel weniger, als inattendu. Inaperçu ist, wenn sie etwas nicht beachtet haben. Oder vergessen und dann ist es auf einmal da. Zum Beispiel ein plötzlicher Tod.“
Sie überlegt nochmals einen Moment und fügt dann dazu:
„Also ja, präziser, für die Person die stirbt, ist es inaperçu. Für die Angehörigen ist es dann eher wieder inattendu.“
Um 16.30 Uhr zieht eine dichte Wolkendecke von Norden heran und verdunkelt den Himmel. Um 17.00 Uhr schliesse ich im düsteren Licht die Fähre ab. Starke Windböen kräuseln die Oberfläche der Aare, ganz so, als würde sie erschauern. Als ich losfahre, regnet es heftig.