Dienstag, 23.10.2018

Ankunft bei der Fähre um 09.35 Uhr: Raureif auf dem Fährboden und den Bänken, Sterne, Wellen und Wirbel zeichnend.

Der Wassertiefstand bringt die Gemüter der Gäste etwa in gleicher Weise in Wallungen wie die Schlauchboot-invasionen und die Hitzetage im Sommer. Wie folgende Daten bis und mit Oktober für Bern zeigen, ist die Sorge nur bedingt berechtigt:

  • Niederschlagsmenge 2018:          728 Liter/m2
    Durchschnitt 1961 bis 1990:       842 Liter/m2
  • Niederschlagstage 2018:              89
    Durchschnitt 1961 bis 1990:       98

Die Abweichung dieses Jahres zum gemessenen Durchschnitt beträgt also 12 %. Die Ängste und Befürchtungen der Gäste liegen jedoch weit höher als 12 % über der durchschnittlich angemessenen Sorge. Hier ein paar Aussagen:

  • „Wenn das so weitergeht, werden sie das Wasser rationieren.“
  • „Der Grundwasserspiegel wird sich kaum wieder erholen. Jetzt sind wir hier soweit wie in der Sahelzone.“
  • „Auch die Dinosaurier sind mal ausgestorben. Es soll uns nicht besser gehen.“
  • „Jetzt geht es dem Ende zu.“

Ich bezweifle, dass 9 fehlende Niederschlagstage in diesem Jahr das Ende der Welt bedeuten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich das Klima verändert und wir dabei tüchtig mitmischen. Doch pragmatisch gesehen, hat sich das Klima in der Weltgeschichte schon immer geändert.

Wasserdaten um 15.20 Uhr:

  • Abflussmenge: 46 m3 pro Sekunde
  • Wasserstand: 501.51 m ü. M.
  • Temperatur: 14.5 Grad Celsius

Um 15.45 Uhr warten auf der Wabernseite ein älterer, etwa siebzig und ein etwa dreissig jähriger Mann. Sie stehen am Fuss der Treppe und beobachten wie die Fähre langsam die Aare überquert. Durch den niederen Wasserstand und die geringere Fliessgeschwindigkeit der Aare dauert die Überfahrt länger. Bei den letzten Metern muss ich das Ruder durchdrücken und am Ende zwei kräftige Ruderschläge geben, damit die Fähre die Rampe erreicht.
Der ältere Mann macht Anstalten einzusteigen, bevor die Fähre auf die Rampe gleitet.
„Bitte warten“, befehle ich. Der ältere Mann schreckt zurück. Ich lege an und steige aus.
„How much does it cost?“, fragt der jüngere Mann, dem Akzent nach ein US-Amerikaner.
„Two francs“, antworte ich und gleichzeitig hält mir der ältere Mann eine 100 Franken Note hin:
„Für mich auch eine Fahrkarte.“
Ich schau in meine Brieftasche:
„Oh, ich habe leider nicht genügend kleine Scheine. Sie müssen dann mit mir ins Fährhaus kommen.“
Der ältere Mann steckt die Note zurück in die Brieftasche und beginnt im Kleingeld zu wühlen.
„Here, four francs. I pay for him“, sagt der Amerikaner.
„No, no. Nein, bitte lassen sie das“, sagt der ältere Mann.
„It’s okay.“
„Das, I can not.“
„Don’t worry“, sagt der Amerikaner und drückt mir die Münzen in die Hand.
„Danke. I Restaurant. Tea. You with me“, will ihn der ältere Mann nun einladen. Der Amerikaner winkt ab.
Auf der Fähre sitzen die beiden Männer nebeneinander. Der Amerikaner zeigt dem älteren Mann eine Landkarte auf dem Smartphone.
„I’m from here. Bakerfield, California.“
„Yes.“
„I’m in Holyday in Switzerland.“
„Yes, yes. Ich verstehe. Aber you come tea. Oder coffee.“
Die beiden unterhalten sich weiter. Der Amerikaner scheint keine Zusage für die Einladung im Restaurant zu machen. Der ältere Mann insistiert nochmals. Da verstummen die beiden Herren. Nun zieht der ältere seine Brieftasche hervor, klaubt sein Kleingeld zusammen und hält es dem Amerikaner hin. Dieser macht mit der Hand nun eine eher missfällige Bewegung. Kaum angelegt, eilt der Amerikaner aus der Fähre und der ältere Mann folgt ihm die Treppe hoch. Oben an der Treppe stoppt der Amerikaner kurz, weil er sich nicht sicher ist, welchen Weg er einschlagen soll. Da spricht ihn der ältere Mann nochmals an, zeigt zum Restaurant und der Amerikaner schüttelt den Kopf, hält ihm die Hand hin, verabschiedet sich und zieht schnellen Schrittes über den Dammweg weg. In seinem Blick liegt nicht etwa Wut oder Ärger, sondern nur eine ungeheure Fassungslosigkeit.