Montag, 22.10.2018

Chronologie einer Schiffsreparatur:

  • 12.09.2018: Ohne ersichtlichen Grund löst sich beim Anlegemanöver – genau genommen: beim Gleiten auf die Metallrampe – das Bugholz von der Fähre und fällt ins Wasser. Ich springe zum Bug und kann das Holz noch knapp vor dem Wegtreiben in die offene Aare fassen und ans Trockene ziehen. Nach genauer Untersuchung stelle ich fest, dass die 3 Halterungsbolzen verbogen oder abgebrochen sind und das Bugholz an mancher Stelle vermodert ist.
  • Die Funktion des Bugholzes ist es, den Schiffsbug vor Schlägen zu schützen.
    Ich rufe Beni an, den Dienstältesten auf der Fähre, und wir sind uns einig, dass das Bugholz umgehend ersetzt werden muss. Darauf rufe ich die Bootswerft M. Tauschek GmbH in Thun an. Ein Mitarbeiter versichert mir, dass ein anderer Mitarbeiter das alte Bugholz am nächsten Tag abholen wird und die Werft dann so rasch als möglich ein neues Bugholz herstellen, liefern und montieren wird.
  • 13.09.2018: Das Bugholz wird von einem Mitarbeiter der Werft abgeholt.
  • 14.09.2018: Das neue Bugholz wird von einem Mitarbeiter der Werft montiert. Es ist aus Teakholz hergestellt und etwas dicker, als das alte Bugholz.
  • 07.10.2018: Die Abflussmenge der Aare fällt unter 90 m3 pro Sekunde. Damit sinkt der Wasserstand unter einen Knickpunkt der Metallrampe auf der Muriseite. Beträgt die Neigung der Rampe von oben her gesehen 15 Grad, erhöht sie sich an diesem Knickpunkt auf 30 Grad und kragt ohne weitere Befestigung ins Wasser hinunter. Hier gleitet die Fähre nun mit dem neuen Bugholz nicht mehr auf die Rampe, sondern schlägt am Metall auf. Um Schäden zu vermeiden sind sehr feine Anlegemanöver erforderlich.
  • 14.10.2018: An den neuen Befestigungsstellen des Bugholzes sind feine Risse im Polyester des Rumpfes erkennbar. Offensichtlich leidet die Fähre unter den Schlägen.
  • 15.10.2018: Ich rufe erneut die Bootswerft M. Tauschek GmbH an. Ich schildere das Problem und wir suchen nach einer Lösung. Die Idee ist, mit der Hobelmaschine die Neigung des Bugholzes zu verändern. Ein Mitarbeiter soll am nächsten Tag vorbeikommen.
  • 16.10.2018: Der Mitarbeiter, Jonas, der Bootswerft M. Tauschek GmbH fährt um 09.56 Uhr mit einem weissen Firmenkombi an. Zuvor habe ich auf beiden Seiten der Aare Hinweise mit der Aufschrift angebracht ‚Fähre wegen Reparaturarbeiten kurzfristig geschlossen. Danke für das Verständnis’. Jonas zieht die Fähre mit einem Seilzug auf eine Art erhöhte Rampe aus Holz, die er unten an der Treppe errichtet hat. Darauf fräst er mit einer Handhobelmaschine der Marke ‚B Professional GHO 40-82 C’ den Winkel des neuen Bugholzes der ausgewasserten Fähre flacher (von zirka 40 Grad auf 25 Grad) und rundet das Holz stärker ab. Damit werden Winkel der Rampe und Winkel des Bugholzes angeglichen. Nach dem Einwassern der Fähre stellen wir nach vier Probefahrten mit verschiedenen Anlegemanövern fest, dass die Fähre immer noch nicht sauber auf die Rampe gleitet, jedoch die Schläge deutlich schwächer ausfallen. Ein Einfetten des Holzes hilft weiter, obschon nun die Fähre oft ab der Rampe wieder abrutscht, was neue Schwierigkeiten mit sich bringt.
  • 22.10.2018: Beni, der am Sonntag zuvor Dienst hatte, ruft mich im Fährhaus an und findet, dass das mit der Rampe nicht gehe, dass die Fähre zu sehr leide. Ich rufe darauf den Werkhof der Gemeinde an. Der Mitarbeiter erkennt das Problem der zu steilen Metallrampe und will am Nachmittag selber einen Augenschein nehmen und besprechen was zu tun ist.
    Um 13.15 Uhr erscheinen der neue Werkhofleiter und zwei Mitarbeiter. Ich stelle die Fähre neben die Rampe, damit diese gut sichtbar ist. Zu viert besprechen wir welche Massnahmen auszuführen sind. Danach mache ich Kaffee und wir diskutieren auf der Terrasse des Fährhauses weiter über das Auswaschen des Aarekiesbettes, den Rückgang der Niederschläge und Walliser Raclettekäse.
    Um 15 Uhr kommt Luca, der Schlosser des Werkhofs, der bereits am Morgen da war, mit einem anderen Mitarbeiter zurück zur Fähre. Sie haben ein Gasschweissgerät, einen Wagenheber, einen Betonwürfel von zirka 30 Zentimeter Kantenlänge und Fischergummistiefel dabei. Erneut bringe ich Hinweise auf beiden Seiten der Aare an, dass die Fähre wegen Reparaturarbeiten geschlossen ist. Nun erhitzt Urs die Metallrampe an der Knickstelle mit dem Schweissgerät, während Luca in den Fischerstiefeln in der Aare steht und den Wagenheber im Wasser unter die Rampe bringt. Als die Knickstelle glüht, biegt Luca die Rampe mit dem Wagenheber nach oben, bis sie den gleichen Winkel erreicht wie oberhalb der Knickstelle (15 Grad). Darauf bringt er den Betonwürfel im Wasser unter die Rampe als neues Auflager.
    Zwei Probemanöver bringen den Beweis, dass die Aktion gelungen ist und die Fähre gleitet nun widerstandslos auf die neu gerichtete Metallrampe.

Nun steht noch die Auswechslung der beiden Rollen der Laufkatze an, die wir bereits im Mai geprüft, ausgemessen, provisorisch repariert und neu bestellt haben. Endlich scheint auch diese komplexe Geschichte ein Ende zu finden. Ich löse das Drahtseil von der Fähre, damit Luca und der andere Mitarbeiter ihre Arbeit machen können. Nach einer halben Stunde kommt Luca zum Fährhaus und macht ein betretenes Gesicht:
„Ich habe eine gute und eine ganz schlechte Nachricht.“
„Dann die gute zuerst“, sage ich.
„Du kannst ab sofort wieder fahren. Die schlechte Nachricht ist: mit den alten Rollen. Die neuen Rollen sind drei Millimeter zu breit und passen nicht. Zurück auf Feld eins.“