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Mythos des Fährmanns, Teil 1
Bevor es Brücken gab, war die Fähre das einzige Mittel einen Fluss zu überqueren. Kaum jemand beherrschte das Schwimmen, der Fluss folgte noch ungezähmt den Launen der Natur und war mehr eine Bedrohung, als ein Freund des Menschen.
Der Fährmann führte die Leute sicher über ein gefährliches, schier unüberwindbares Hindernis in eine andere, fremde Welt. Seine Arbeit erhielt eine besondere Bedeutung und über Jahrtausende entstand um die Gestalt des Fährmanns ein dichtes Sagen- und Fabelnetz. Seine mythologische Bedeutung reicht weit in die Antike zurück und wird oft mit dem Übergang vom Leben in den Tod verbunden.
Bereits im altbabylonischen Gilgamesch-Epos vor etwa 3’600 Jahren taucht ein namenloser Fährmann auf, der den Helden über das Meer des Todes zu einer Insel übersetzt, auf der sein Urahn Utnapischtim lebt.
Mahaf führt in der ägyptischen Mythologie unter Aufsicht des Gottes Cherti die Verstorbenen mit einem Boot ins Totenreich Duat.
Bei der griechischen Mythologie ist es der Fährmann Charon, der die Toten über den Styx in den Hades bringt. Und wehe sie wurden nicht ordentlich bestattet. Dann erwartete sie am Ufer des Styx ein hundert Jahre dauerndes Geisterleben. Deshalb legten die Priester bei der Bestattung den Toten Münzen auf die Augen oder unter die Zunge, damit sie den Fährmann für die sichere Überfahrt ins Reich der Toten bezahlen konnten.
Odysseus begegnet Charon auf der Suche nach Weisheit. In Homers Odyssee, sagt Kirke beim Abschied zu Odysseus:
„Bevor ihr nach Hause kehrt, vollendet ihr noch eine Reise. Fahrt hin zu Hades‘ Reich und der strengen Persephoneia. Da befragt ihr des thebaiischen Greises Teiresias‘ Seele, jenes blinden Propheten, mit ungeschwächtem Verstande. Ihm gab Persephoneia im Tode selber Erkenntnis; und er allein ist weise, die andern sind flatternde Schatten.“
Wenn ich Gäste über die Aare führe, wird die mythische Bedeutung kaum mehr erwähnt. Doch ob erwähnt oder nicht – in seltenen Momenten kann ich die Magie der Überfahrt erleben. Dann, wenn Gäste still und offen und präsent sind. Meist sitzen sie regungslos auf der Holzbank, ihr Blick schweift gedankenverloren über das Wasser und ihr Gesicht ist eigenartig gelöst und entspannt.
In diesen Momenten scheint auf einmal etwas Grösseres, als das irdische Leben über der Fähre zu schweben. Gerade so, als würde kurz eine Seele aus dem Hades dem Gast zuzwinkern und lächeln.
17.29 Uhr: Ich führe zwei junge Frauen von der Wabernseite her über die Aare. Die eine hat ein Tragtuch umgebunden. Der Säugling darin quietscht ein paar Mal vergnügt. Aus ihrer Unterhaltung entnehme ich, dass das Baby jetzt dann gerade im Fähribeizli an die Brust genommen wird. Das Baby ist gerade mal zwölf Tage alt.