Donnerstag, 21.03.2019

Messdaten:

  • Sonnenaufgang: 06.32 Uhr
  • Sonnenuntergang: 18.44 Uhr
  • Tagesdauer Frühlingsbeginn: 12 Stunden und 12 Minuten
  • Temperatur Luft 10.00 Uhr: 0.5 Grad Celsius
  • Temperatur Wasser 10.00 Uhr: 5.5 Grad Celsius
  • Abflussmenge: 73 m3 pro Sekunde
  • Geruch: Frische Luft mit Blütenstaub vom Schwarzdorn, der Kornelkirsche, dem Buschwindröschen und dem seltenen Seidelbast leicht gepudert
Schwarzdorn (Prunus spinosa), auch Schlehdorn, Schlehe, Heckendorn oder Sauerpflaume genannt

Um 09.25 Uhr halte ich auf meinem Arbeitsweg mit dem Fahrrad am Wildschweingehege an. Im Schutz von Tannenzweigen liegt an diesem strahlend schönen Frühlingsbeginn eine der Bachen. Sieben Frischlinge drängen sich an ihre Zitzen, schubsen und quietschen. Ein Hinweisschild informiert mich darüber, dass Ruby am 15. März und Pia am 18. März je 5 Frischlinge zur Welt gebracht haben. Als die Bache aufsteht und die Frischlinge sozusagen abwirft, eilen zwei davon schnurstracks zur zweiten Bache, ganz so, als seien sie auf frischer Tat ertappt worden.

Die Bänke und der Boden der Fähre sind bei meiner Ankunft mit Reif bedeckt. Doch schon eine halbe Stunde später sind die Bänke trocken.

Um 10.30 Uhr fahre ich Bernadette, eine Dauergästin, auf die Wabernseite. Sie ist sehr dünn, trägt ihr blondes Haar offen und meist zerzaust. Sie erscheint unregelmässig und stets zu verschiedenen Tageszeiten auf der Fähre und es bleibt rätselhaft, nach welchen Gewohnheiten sie an der Aare unterwegs ist. Wie üblich grüsse ich sie und während der ganzen Überfahrt redet sie von diesen und jenen ungerechten Ereignissen:
„Vor einer Woche ist mein Nachbar gestorben. Ein alter, einsamer Mann. Ausgerechnet jetzt, wo wir zusammen Kaffee zu trinken begonnen haben. Um elf Uhr nachts. Seine Angehörigen haben mich am nächsten Tag sofort angerufen. Warum ausgerechnet mich? Ich kannte ihn nicht gut. Ich hoffe nicht, dass ich jetzt mit der Wohnungsräumung zu tun kriege.“
Es entsteht nie ein Schwatz, sondern ich höre ihr zu. Es gibt Tage, da verlangsame und Tage, da beschleunige ich die Fahrt mit ihr. Heute gibt es eine normale Fahrt.
Bei der Rückfahrt ist kein Gast auf der Fähre. Auf einmal setzt sich eine Biene auf meinen Handrücken. Die Hand liegt auf dem Ruder vor meiner Nase und ich kann die Biene in aller Ruhe beobachten. In ihren Körperhärchen hat sich gelber Blütenstaub gesammelt und mit den Vorderbeinen putzt sie sich den Kopf. Genauer gesagt putzt sie ihre Antennen. Darauf tastet sie meinen Handrücken ein wenig ab, krabbelt auf den höchsten Punkt und summt davon.

Mike und Thomas, zwei Sanitätspolizisten, trinken bei mir auf der Terrasse einen Kaffee. Sie sind mit dem Rettungsboot auf der Heimfahrt nach Bern unterwegs. Regelmässig fahren sie bis zur Uttigerwelle und kontrollieren ihr Einzugsgebiet.
„Gibt es viele Todesfälle in der Aare?“, frage ich.
Mike überlegt kurz und antwortet:
„Es geht so. Es hat schon zugenommen in den letzten Jahren. Aber es sind nicht die betrunkenen Schlauchbootfahrer, auch weniger Einheimische. Die meisten sind Touristen, vorwiegend Asiaten und Inder, welche die Lage unterschätzen. Asylsuchende hat es auch. Das ist besonders traurig und das Leben selbst scheint hier zynisch zu sein. Die Flüchtlinge überleben ihre Flucht, vielleicht die grausame Überfahrt auf dem Mittelmeer nach Lampedusa, kommen endlich hier an und ertrinken dann in der Aare.“
Mike schaut betreten auf seine Fingernägel, ganz so als würde ihn irgendeine unbegründete Schuld treffen.