09.40 Uhr: Über der Aare schweben Nebelfetzen. Dieses Phänomen stellt sich ein, wenn die Aare wärmer ist als die Luft. Vermutlich könnte man wissenschaftlich von einem konvektiven Transport der Luft, die sich über der Aare erwärmt, in die darüberliegende Kaltluft sprechen, doch dies zu definieren überlasse ich den Meteorologen.
Die Aare verdunstet stetig, doch nur wenn die Luft so weit abkühlt, dass der Taupunkt überschritten und die Luft übersättigt ist, entstehen die Nebelschwaden. Nebel ist also der sichtbar gewordene Taupunkt.
In diesem Prozess entsteht zudem eine thermische Bewegung der Luft und wenn nun noch eine leichte Brise mitspielt, dann beginnen die Nebelfetzen über das Wasser zu tanzen und veranstalten ein wunderbares Schauspiel – Konvektion und Advektion hin oder her.
11.32 Uhr: Ich fahre einen Gast auf die Wabernseite und darauf leer zurück. Auf dem untersten Treppentritt entdecke ich den Zaunkönig. Ich habe ihn seit dem Frühjahr nicht mehr gesehen. Er hat ein Nest in der gemeinen Waldrebe bei der Terrasse des Fährhauses gebaut und nutzt es jedes Jahr. Er wurde immer zutraulicher und dann war er auf einmal verschwunden. Das Männchen baut verschiedene Nester und wenn er ein Weibchen gefunden hat, wählt dieses ein Nest aus und legt da ihre drei bis sieben rot gesprenkelten Eier. Das Nest bei der Terrasse ist exponiert und deshalb vermutlich zweite Wahl für eine Zaunkönigin und ihre Jungen. Aber im Winter kehrt der Zaunkönig zurück.
Ich verlangsame die Fahrt. Der Zaunkönig hüpft von Treppenstufe zu Treppenstufe, wippt auf und ab und zuckt mit seinem kurzen, gestelzten Schwanz. Ab und zu schnappt er zwischen welkem Laub nach Insekten. Auf einmal reckt er sich, lugt zur Fähre und stösst ein hohes und lautes Trillern aus und fliegt davon.
14.54 Uhr: Jemand klopft an die Türe des Fährhauses.
„Herein“, rufe ich. Der Mann ist drahtig und sein Gesicht ist mit vielen Lachfalten durchzogen.
„Wollen sie fahren?“, frage ich.
„Nein, ich brauche fünf Mehrfahrtenkarten und eine Quittung.“
„Aha. Gerne. Ist es für eine Schule?“
Er nickt und ich öffne die Schublade, zähle fünf Mehrfahrtenkarten und überreiche sie ihm. Ich stelle ihm eine Quittung aus und wir kommen ins Plaudern.
„Die Mehrfahrtenkarten sind für den Maibummel nächstes Jahr. Wie jedes Jahr.“
„Da sind sie aber früh dran.“
„Es ist immer dasselbe. Ende Jahr ist das Budget noch nicht aufgebraucht und wir machen uns auf die Einkaufstour. Was bis Ende November nicht ausgegeben ist, geht im nächsten Jahr verloren.“
„Was kauft ihr denn so ein?“
„Alles Mögliche. Bastelmaterial, Spiele, Lern- und Fachbücher. Doch aufgepasst!“ sagt er und hebt den Zeigefinger in die Luft, „nicht alles wird gleich verbucht. Da hat mal jemand Software gekauft und musste diese beinahe selber berappen. Software ist in diesem Budget nicht vorgesehen.“
Er lacht und um seine Augen werden die Lachfalten zu kleinen Canyons.
Ich füge den Stempel „Fähre Bodenacker, 3074 Muri BE“ zu meiner Unterschrift auf der Quittung und überreiche sie dem Mann. Er reicht mir seine Hand:
„Hanspeter Burri. Sehr professionell diese Quittung. Danke. Auf Wiedersehen und schönen Winter noch.“
16.51 Uhr: Die Nacht bricht rasch herein. Die Sonne ist vor drei Minuten untergegangen, sagt mir der Sonnenkalender. Es regnet. Der Zaunkönig bezieht seine Nachtstätte und pfeift und trillert für heute ein letztes Mal.