Dienstag, 21.08.2018

Warum ist die Aare so grün? 2. Teil

Die Aare sei smaragdgrün, weil sie so sauber ist. Diese Aussage ist erst der Anfang der Untersuchung. Sauberkeit gibt ihr nicht die Farbe, sondern die Transparenz. Und was ist hier mit sauber gemeint? Einige sprechen der Aare Trinkwasserqualität zu, andere winken ab, es habe zu viele Bakterien. Mit sauber ist also eher die Klarheit gemeint – im Gegensatz zu trübem Wasser.

Als nächstes spielt die Lichtbrechung im Wasser für die Farbe eine wichtige Rolle. Deshalb wirkt sie bei Sonnenschein intensiver, als an einem bewölkten Tag. Auch der Sonnenstand leistet seinen Beitrag. Je höher die Sonne steht, umso wichtiger wird der Untergrund. Steht sie tief, kommen andere Aspekte stärker zum tragen.

Die Reflektionen und Spiegelungen der Umgebung im bewegten Wasser sorgen für die Verspieltheit. Bäume, Büsche, die tausend Blautöne des Himmels, Wolken, abhängig von Witterung, Tages- und Jahreszeit. Sie dringen jedoch nicht in die Tiefe, in das Ruhige, in das stetig Grüne, sondern bleiben an der Oberfläche.

Eine biologische Rolle für die Farbnuancen nehmen die Algenmischung und die Algenmenge ein. Hier sind kleine und kleinste Partikel gemeint und nicht die sichtbaren Algenfetzen. In der Aare heimisch sind sowohl Fadenalgen, Algenlager wie Algenmoose. Diese haben wohlklingende Namen wie Cladophora glomerata, Vaucheria Microspora, Bangia atropurpurea, Stigeoclonium, Ulothrix, Hildenbrandia rivularis oder Audouinella Chantransia.

Ob menschliche Bestandteile eine Rolle spielen, bezweifle ich. Wir haben Kläranlagen und Umweltgesetze. Bei einem Jahresmittel von hundertachtundzwanzigtausend Liter pro Sekunde, sind zerstäubte Abfälle, kompostierte Pflanzen, etwas Sonnencreme, eine ausgeleerte Bierflasche, Fungizid- und Pestizidrückstände und so weiter vernachlässigbar. Auch der Urin der Badenden wird es kaum schaffen, die Aare farblich zu beeinflussen. All diese menschlichen Zutaten verbuche ich unter homöopathischer Beimischung, was auch seine Wirkung haben soll.

Nun, vielleicht ausschlaggebend für das einzigartige grün – um bei dieser Farbgebung zu bleiben, obschon jede Person ein eigenes Empfinden hat – sind die Partikel und Sedimente aus den Alpen. Scheinbar für immer und ewig vor unseren Augen errichtet, spiegelt sich die Erosion dieser majestätischen Bergwelt in der Aare wieder. Hitze und Frost, Regen, Wind und Geschiebe tragen hier die wichtigsten Pigmente ab. Man stelle sich das vor: Gneis, Granit, Quarz, Glimmerschiefer, Grünschiefer, Grauwacken, Tuff, Sandsteine, Siltsteine, Mergel und Tonsteine, teilweise kalkhaltig und manchmal kieselig, werden zermalmt, geschliffen, zerstäubt und werden von Regentropfen aufgenommen, zu kleinen Rinnsalen vereint auf den Weg zum Meer geschickt.
Über die obere Aare, die Kander, die Simme, die Lütschine, den Lombach und unzählige kleine Bäche werden die Pigmente in den Brienzersee und Thunersee geführt, werden hier gereinigt, geläutert und exquisit zusammengemischt, bevor der wertvolle Rohstoff bei der Mühleschleuse und der Scherzligschleuse in Thun wieder dem Fluss übergeben wird.

Und diese scheinbar unzerstörbare, ewige Bergwelt wird flüchtig, zeigt sich nochmals, leicht und umwerfend schön in der Aare und beglückt, bewegt und verzaubert die Gemüter bei jeder Überfahrt mit der Fähre.

Dies ist keine abgeschlossene Untersuchung. Sie beschreibt erst einen statischen Zustand. Eine Analyse der Mischung. Es fehlt das Lebendige, Fliessende und auch der ganze unsichtbare Anteil ist nicht untersucht. Wer weiss schon, was die Eiskönigin und Gletschergnome mit dem Schmelzwasser anstellen?